Sevil Huseynova
Dr. Sevil Huseynova ist Sozialanthropologin und wurde an der Staatlichen Universität Baku promoviert. 2005 unternahm sie als Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung (Büro Tbilissi) ihr erstes individuelles Forschungsprojekt, das den Alltagspraktiken von Armenier*innen in Baku gewidmet war. Von 2007 bis 2010 war sie Doktorandin am Institut für Soziologie und Rechtswissenschaft der aserbaidschanischen Akademie der Wissenschaften. Gleichzeitig war sie als Vertreterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Aserbaidschan tätig. Seit 2010 studierte sie Europäische Ethnologie am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin und verteidigte dort 2018 ihre Dissertation. Seit 2016 ist sie Mitglied und Projektmanagerin beim Center for Independent Social Research (CISR e.V. Berlin). Zu ihren wichtigsten Forschungsinteressen gehören Memory Studies, Konflikt- und Migrationsforschung.
Verbreitete historische Mythen vor und nach dem Zweiten Krieg um Bergkarabach
Zwei Schlüsselereignisse, zu denen äußerst populäre historische Mythen konstruiert wurden, sind der Konflikt um Bergkarabach (von 1988 bis heute) und die Errichtung des politischen Erbregimes der Alijews 1993. Eines der wichtigsten Merkmale von Erinnerungspolitik besteht hier darin, dass das harte autoritäre Regime, das die Rolle des einzigen politischen Akteurs beansprucht, der die Vergangenheit definiert, eine umfassende Kontrolle sämtlicher öffentlicher Räume anstrebt wie auch die Marginalisierung all seiner Opponenten. Aleida Assmann verweist mit ihrer gelungenen Metapher des „langen Schattens der Vergangenheit" auf „Aspekte der Unfreiwilligkeit und Unverfügbarkeit im Umgang der Betroffenen und Nachgeborenen mit der traumatischen Vergangenheit" (Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit…, 2006, S. 16). Die Erinnerungen an die Jahre 1918-1920, den Zusammenbruch des russischen Zarenreiches und die Versuche, die erste Aserbaidschanische Demokratische Republik (ADR) zu errichten, bedeuteten für das herrschende Regime nicht immer eine bequeme Vergangenheit. Die Erinnerung an die traumatischen Ereignisse des Kriegs um Bergkarabach (1992-1994) und den anhaltenden Konflikt sind ebenfalls nicht immer allein zu bewältigen. Diese Jahreszahlen behalten jedoch ihre Relevanz und zu den Ereignissen werden Mythen geschaffen, um sie an das offizielle historische Narrativ anzupassen. Auf ähnliche Weise werden die Ereignisse um Hejdar Alijews Verbleib an der Macht – als Chef der Kommunistischen Partei Aserbaidschans (1968–1982) und nach dem Zusammenbruch der UdSSR als aserbaidschanischer Präsident (1993-2003) – umgestaltet und zu Mythen gemacht. Als wichtigste Strategien beim Umgang mit der Vergangenheit würde Sergiusz Michalski wohl die Industrie der öffentlichen politischen Denkmäler nennen wie auch kollektive, massenhafte Zeremonien und Rituale unter der Ägide und Kontrolle der Regierung. Hier sind, Aleida Assmann folgend, einige wichtige Fragen zu beantworten: Wer bleibt außerhalb der Erinnerungskultur? Nach welchen Prinzipien erfolgen Aufnahme bzw. Ausschluss? Diese Fragen sind notwendigerweise mit Fragen der Machterlangung und des Machterhalts verbunden, was bedeutet, dass ein Wandel der Machtverhältnisse Veränderungen in der Struktur der Erinnerungskultur hervorruft (nach A. Assmann: "Plunging into nothingness"…, 2009, S. 35).
Sevil Huseynova
Dr. Sevil Huseynova ist Sozialanthropologin und wurde an der Staatlichen Universität Baku promoviert. 2005 unternahm sie als Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung (Büro Tbilissi) ihr erstes individuelles Forschungsprojekt, das den Alltagspraktiken von Armenier*innen in Baku gewidmet war. Von 2007 bis 2010 war sie Doktorandin am Institut für Soziologie und Rechtswissenschaft der aserbaidschanischen Akademie der Wissenschaften. Gleichzeitig war sie als Vertreterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Aserbaidschan tätig. Seit 2010 studierte sie Europäische Ethnologie am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin und verteidigte dort 2018 ihre Dissertation. Seit 2016 ist sie Mitglied und Projektmanagerin beim Center for Independent Social Research (CISR e.V. Berlin). Zu ihren wichtigsten Forschungsinteressen gehören Memory Studies, Konflikt- und Migrationsforschung.
Verbreitete historische Mythen vor und nach dem Zweiten Krieg um Bergkarabach
Zwei Schlüsselereignisse, zu denen äußerst populäre historische Mythen konstruiert wurden, sind der Konflikt um Bergkarabach (von 1988 bis heute) und die Errichtung des politischen Erbregimes der Alijews 1993. Eines der wichtigsten Merkmale von Erinnerungspolitik besteht hier darin, dass das harte autoritäre Regime, das die Rolle des einzigen politischen Akteurs beansprucht, der die Vergangenheit definiert, eine umfassende Kontrolle sämtlicher öffentlicher Räume anstrebt wie auch die Marginalisierung all seiner Opponenten. Aleida Assmann verweist mit ihrer gelungenen Metapher des „langen Schattens der Vergangenheit" auf „Aspekte der Unfreiwilligkeit und Unverfügbarkeit im Umgang der Betroffenen und Nachgeborenen mit der traumatischen Vergangenheit" (Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit…, 2006, S. 16). Die Erinnerungen an die Jahre 1918-1920, den Zusammenbruch des russischen Zarenreiches und die Versuche, die erste Aserbaidschanische Demokratische Republik (ADR) zu errichten, bedeuteten für das herrschende Regime nicht immer eine bequeme Vergangenheit. Die Erinnerung an die traumatischen Ereignisse des Kriegs um Bergkarabach (1992-1994) und den anhaltenden Konflikt sind ebenfalls nicht immer allein zu bewältigen. Diese Jahreszahlen behalten jedoch ihre Relevanz und zu den Ereignissen werden Mythen geschaffen, um sie an das offizielle historische Narrativ anzupassen. Auf ähnliche Weise werden die Ereignisse um Hejdar Alijews Verbleib an der Macht – als Chef der Kommunistischen Partei Aserbaidschans (1968–1982) und nach dem Zusammenbruch der UdSSR als aserbaidschanischer Präsident (1993-2003) – umgestaltet und zu Mythen gemacht. Als wichtigste Strategien beim Umgang mit der Vergangenheit würde Sergiusz Michalski wohl die Industrie der öffentlichen politischen Denkmäler nennen wie auch kollektive, massenhafte Zeremonien und Rituale unter der Ägide und Kontrolle der Regierung. Hier sind, Aleida Assmann folgend, einige wichtige Fragen zu beantworten: Wer bleibt außerhalb der Erinnerungskultur? Nach welchen Prinzipien erfolgen Aufnahme bzw. Ausschluss? Diese Fragen sind notwendigerweise mit Fragen der Machterlangung und des Machterhalts verbunden, was bedeutet, dass ein Wandel der Machtverhältnisse Veränderungen in der Struktur der Erinnerungskultur hervorruft (nach A. Assmann: "Plunging into nothingness"…, 2009, S. 35).